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Mehr Frauen an den Verhandlungstisch

Feministischer Diskurs in der internationalen Zusammenarbeit
30. März 2023
Die stellvertretende Außenministerin der Ukraine, Emine Dzhaparova, Quelle: UN Mediathek

In der Ukraine ist die Diplomatie weiterhin eine klassische Männerdomäne. Gerade jetzt ist es aber Zeit für eine feministische Außenpolitik.

In der Ukraine ist das Verständnis vom Konzept einer „feministischen Außenpolitik“ derzeit noch sehr begrenzt und beschränkt sich weitgehend auf die Frage der Geschlechtergleichstellung im diplomatischen Dienst, während sich immer mehr europäische Länder wie zum Beispiel Schweden, Frankreich, Deutschland und Spanien mittlerweile ihre jeweils eigene Version einer feministischen Außenpolitik auf die Fahne geschrieben haben. Das deutet auf einen Trend hin, der allmählich an Dynamik gewinnt. Dazu kommt, dass viele dieser Länder – allen voran EU-Mitgliedstaaten – Strategien und Maßnahmen zu einer Geschlechtergleichstellung zur Voraussetzung für die Bereitstellung von Hilfsleistungen an Drittländer machen. Das gilt nicht nur für Hilfen im humanitären Bereich und in der Entwicklungszusammenarbeit, sondern auch für die Unterstützung bei der Krisenlösung und dem Impact Management sowie für den Waffenhandel. Eine Geschlechtergleichstellung war zwar schon länger eine der Bedingungen für Zuschüsse an zivilgesellschaftliche Organisationen, aber jetzt wird sie auch zur Voraussetzung für die EU-Entwicklungshilfe gemacht. Während die internationale Entwicklungspolitik sich schon seit geraumer Zeit auf die Rechte von und Dienste für Mädchen und Frauen konzentriert, um die soziale und wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben, holt die Außenpolitik gerade erst auf.

Es ist jetzt die Zeit, über feministische Außenpolitik nachzudenken

Obwohl sich die Ukraine immer noch im Krieg befindet, ist es jetzt an der Zeit, über eine feministische Außenpolitik nachzudenken. Beim Wiederaufbau der Ukraine nach dem Krieg sollten eine ausgewogene Gleichstellungspolitik und Antidiskriminierungsmaßnahmen in verschiedenen Bereichen zur Vorbedingung für die Kooperation mit internationalen Partnern werden. Standards dieser Art sollten im Unternehmertum und in sozioökonomischen Entwicklungsprogrammen eingeführt werden, wobei die Einbeziehung der Gleichstellungsproblematik ein wichtiger Bestandteil von sektoralen Richtlinien sowie in den Verfahren zur Überwachung, Auswertung und Berichterstattung sein sollte.

Bei Feminismus und feministischer Außenpolitik geht es jedoch nicht ausschließlich um eine Gleichstellung der Geschlechter. Feminismus bezieht sich auch auf bestimmte Werte im Zusammenhang mit einer Neujustierung ungleicher Machtverhältnisse, was nicht nur das Geschlecht, sondern auch andere Aspekte wie die Zugehörigkeit zu einer Ethnie oder Schicht sowie sexuelle Orientierung betrifft. Feministische Außenpolitik ist „die politische Linie eines Staates, der für seine Interaktionen mit anderen Staaten, aber auch mit nichtstaatlichen Akteuren unter anderem folgende Ziele festlegt: Frieden, Geschlechtergleichstellung und ökologischer Integrität Priorität einzuräumen, die Menschenrechte aller zu bewahren und danach zu streben, koloniale, rassistische und von Männern dominierte Machtstrukturen aufzubrechen. Zur Erreichung dieser Ziele stellt so ein Staat beträchtliche Mittel zur Verfügung.“

Aufgrund ihrer aktiven Teilnahme an europäischen Prozessen und als – heutiges und vermutlich auch zukünftiges – Empfängerland von beträchtlichen EU-Hilfen sollte die Ukraine voll und ganz verstehen, was dieses Konzept genau beinhaltet, welche Optionen für eine feministische Außenpolitik bestehen und welche bewährten Vorgehensweisen eingeführt werden sollten. Tatsächlich bedeutet das für die Ukraine, ihre innenpolitischen Prozesse, einschließlich der des diplomatischen Dienstes, an den internationalen Beziehungen auszurichten und sich selbst auf der internationalen Bühne zu positionieren.

Genderfragen sind in den Fokus gerückt

Im Herbst 2022 führte der außenpolitische Thinktank Ukrainian Prism eine Studie und Befragung mit ukrainischen Diplomatinnen und Beamtinnen zu folgender Frage durch: „Ist die Ukraine bereit für eine feministische Außenpolitik?“ Die Befragten gaben an, dass Genderfragen und die Gewährleistung von gleichen Rechten und Chancen für Frauen und Männer in den letzten Jahren stärker in den Fokus der internen Richtlinien im ukrainischen Außenministerium gerückt seien. Das habe innerhalb relativ kurzer Zeit zu sehr positiven Ergebnissen geführt. Ein 2019 durchgeführter Gleichstellungsaudit habe diesen Prozess unterstützt. Allerdings äußern einige Diplomatinnen die Sorge, dass die derzeitigen institutionellen Kapazitäten des Außenministeriums und anderer Regierungsbehörden möglicherweise nicht ausreichend seien, um diese Errungenschaften auch nach einer Kabinettsumbildung oder einem Regierungswechsel unumkehrbar zu machen.

Andererseits ist es offensichtlich, dass der Generationswechsel in der Führung des Außenministeriums eine wichtige Rolle bei diesem positiven Wandel spielte, weil die ukrainische Außenpolitik dadurch jünger und weiblicher wurde. Zudem wurden die institutionellen Veränderungen der letzten Jahre in der Gesetzgebung verankert und in einer Reihe von Strategiepapieren festgeschrieben, um die Kontinuität des Reformprozesses zu sichern.

Frauen kümmern sich eher um Kultur, öffentliche Diplomatie und Medienarbeit

Trotz all der positiven Veränderungen der letzten Jahre weisen die meisten Diplomatinnen darauf hin, dass im diplomatischen Dienst immer noch eine stereotype Sichtweise von der Rolle der Frauen vorherrsche. Dazu gehöre unter anderem die Verteilung von Aufgaben oder thematischen Arbeitsbereichen. Die Frauen im diplomatischen Dienst sind vorwiegend in den Bereichen Kultur, öffentliche Diplomatie und Medienarbeit tätig. Als besonders schwierig erweist sich die Einstellung der älteren Diplomatengeneration und die stereotype Sichtweise auf die Fähigkeiten der Diplomatinnen und auf die Herausforderungen, vor denen sie stehen. Es wirkt manchmal merkwürdig, wenn auf ukrainischer Seite überhaupt keine Frauen am Verhandlungstisch sitzen.

Bei den Bemühungen um Chancengleichheit für Männer und Frauen im diplomatischen Dienst sollte auch berücksichtigt werden, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nach wie vor insbesondere für Frauen ein Problem darstellt und die Rolle im Beruf und in der Familie vor allem für Frauen eine doppelte Belastung ist. Von ihren Vorgesetzten werden Diplomatinnen mit Kindern häufig nur widerwillig auf Leitungspositionen in den diplomatischen Vertretungen im Ausland eingesetzt, da ihre Kinder sie angeblich von der Arbeit ablenken könnten. In vielen Ländern sind auch Arbeitsmöglichkeiten für den Partner oder die Partnerin der im diplomatischen Dienst Tätigen ein Problem.

In der externen Dimension sollte die Wichtigkeit, die Prioritäten einer feministischen Außenpolitik zu verstehen und einige ihrer Elemente in der Ukraine umzusetzen, aus mehreren Blickwinkeln betrachtet werden: als Zeichen der Übereinstimmung mit demokratischen Werten; als Garantie für die erfolgreiche europäische und euro-atlantische Integration der Ukraine; als Werkzeug einer Kriegsdiplomatie und für die Wiederherstellung von Gerechtigkeit; als Voraussetzung für internationale Hilfen für den Wiederaufbau der Ukraine nach dem Krieg; als ein Element der Softpower der Ukraine: für andere Länder das Vorbild einer erfolgreichen Transformation zu sein; als Werkzeug für die Nationsbildung: die Ukraine als eine führende Nation der freien Welt.

Es ist wichtig, dass die Ukraine eine klare Position zu Frauenrechten bezieht.

Angesichts der modernen globalen Trends und der vorrangigen Probleme, vor denen die ukrainische Diplomatie steht, wäre es hilfreich, wenn die Ukraine sich zu einer feministischen Außenpolitik bekennen würde, die ihr Augenmerk vor allem auf folgende Ziele richtet: den Schutz der Menschenrechte, Inklusion, Gleichstellung der Geschlechter, Kampf gegen sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt, Schutz von Randgruppen, Bekämpfung systemischer Ungleichheiten und Nutzung der verändernden Kraft der Diplomatie. Die Grundsätze der Geschlechtergleichstellung und Inklusion sollten in das Wiederaufbauprogramm der Ukraine nach dem Krieg einbezogen werden und ein Faktor bei der Bereitstellung von Aufbauhilfen sein. Gleichzeitig sollte die Geschlechtergleichstellung und der Schutz von Frauenrechten auch eine Rolle spielen, wenn die Ukraine selbst Entwicklungshilfe an Drittländer leistet. Angesichts des internationalen Images der Ukraine als ein Land, das für demokratische Werte und Freiheiten kämpft, ist es wichtig, dass die Ukraine eine klare Position zu Frauenrechten bezieht und sich für den Schutz der Frauenrechte im Iran und in Afghanistan einsetzt sowie sich (im Rahmen ihrer derzeitigen Möglichkeiten und strategischen Interessen) kritischer zu anderen Fälle von brutalen Menschenrechtsverletzungen äußert.

Es gibt Fortschritte in der Genderpolitik

Trotz aller Probleme kann sich die Ukraine als ein Land präsentieren, das in der Genderpolitik schon einiges erreicht hat und bereit ist, seine Erfahrungen mit anderen Ländern zu teilen – zum Beispiel in Bezug auf die Ratifizierung der Istanbul-Konvention und die Ausarbeitung von Strategiepapieren für die Genderpolitik. Für die Ukraine ist es wichtig, sich in der Kommunikation mit internationalen Partnern im Rahmen einer öffentlichen Diplomatie und Imagepolitik eines feministischen Diskurses zu bedienen. Unter anderem würde das dazu beitragen, ein positives Bild von der Ukraine als einem Land mit starken und erfolgreichen Frauen in der Armee, Diplomatie, Politik, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und weiteren Bereichen zu zeichnen.

Dieser Beitrag wurde zuerst im IPG-Journal der Friedrich-Ebert-Stiftung hier veröffentlicht.

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