Zahlreiche Menschenrechtsverletzungen bei Rückkehrprogrammen

Notfallrückführungen der IOM aus Libyen und Niger
31. August 2020
Gerd Altmann | Pixabay

Menschenrechtsverletzungen bei bestehenden Rückkehrprogrammen der IOM sind keine Einzelfälle. Eine Studie von Brot für die Welt und medico international analysiert vor allem Notfallrückführungen aus Libyen und das Programm der unterstützten freiwilligen Rückkehr aus Niger.



Im November 2017 alarmierte ein Beitrag des Nachrichtensenders CNN die Öffentlichkeit. Die Reporter berichteten über sklavenähnliche und zutiefst menschenunwürdige Verhältnisse in libyschen Internierungslagern. Europäische und afrikanische Regierungen, die zur gleichen Zeit ihr Gipfeltreffen in Abidjan abhielten, sahen sich daraufhin gezwungen, geeignete Schritte zum Schutz und zur Rettung der internierten Migrant*innen und Flüchtlinge zu präsentieren. Statt jedoch eine Evakuation der Menschen in sichere europäische Länder in Erwägung zu ziehen und die Unterstüzung der für Menschenrechtsverletzungen verantwortlichen libyschen Küstenwache einzustellen, beschlossen sie, dass die Flüchtlinge und Migrant*innenaus Libyen in ihre Herkunftsländer zurückkehren sollten. Eine gemeinsame Taskforce aus Europäischer Union, Afrikanischer Union und Vereinten Nationen beauftragte die Internationale Organisation für Migration (IOM) damit, ein humanitäres Rückkehrprogramm aus Libyen durchzuführen.

In der gemeinsam von Brot für die Welt und medico international herausgegebenen Studie „Notfallrückführungen der IOM aus Libyen und Niger. Eine Schutzmaßnahme oder Ursache neuer Schutzbelange?“ weist die Autorin Jill Alpes nun auf grundlegende Mängel und Menschenrechtsverletzungen bei bestehenden Rückkehr- und Reintegrationsprogrammen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) hin. Sie analysiert dabei vor allem die teilweise durch den EU Emergency Trust Fund (EUTF) finanzierten Notfallrückführungen für Flüchtlinge und Migrant*innen aus Libyen sowie das sogenannte Programm der „unterstützten freiwilligen Rückkehr“ aus Niger.

Zweifel an der Freiwilligkeit

Auf Grundlage zahlreicher Interviews mit Betroffenen, Vertreter*innen der Zivilgesellschaft sowie des UNHCR und der IOM kommt die Autorin insgesamt zu einem ernüchternden Ergebnis. So berichteten nach Angaben der Autorin mehrere von ihr interviewte Rückkehrer*innen, dass sie keinesfalls freiwillig an den Rückkehrprogrammen teilgenommen hätten. Zum Teil wurde erheblicher psychischer und in Einzelfällen physischer Druck auf sie ausgeübt, damit sie ihrer eigenen Rückkehr überhaupt zustimmen. Vielen interviewten Flüchtlingen und Migrant*innen erschien es das kleinere Übel in ihr Herkunftsland zu gehen, da in Libyen Folter und Gewalt drohten. Nach ihrer Rückkehr fanden viele Rückkehrer*innen jedoch häufig genau die Bedingungen vor, die sie einst zur Flucht oder Migration veranlasst hatten. In einer prekären Sicherheitslage mit mangelndem Schutz sehen sich die Betroffenen ernsten Bedrohungen ausgesetzt, so dass die Rückkehr in das Herkunftsland häufig nur von begrenzter Dauer ist. Viele haben Schulden aufgenommen, um die gefährliche Flucht anzutreten oder sie werden nach der Rückkehr stigmatisiert. Häufig versuchen sie, das Herkunftsland erneut zu verlassen. Die Rückkehrprogramme enthalten zwar häufig Reintegrationsmaßnahmen, die den Betroffenen langfristige Lebensperspektiven in den Herkunftsländern ermöglichen sollen. Diese gehen jedoch häufig an tatsächlichen Bedarfen der Betroffenen vorbei oder sind für die Rückkehrer*innen schlicht nicht zugänglich. Viele scheitern bereits daran, die Kosten für den Transport zum Büro der IOM aufzubringen, um dort Unterstützung zu beantragen.
In Niger akzeptierten interviewte Migrantinnen und Migranten ihre Rückführung, nachdem sie schwere Menschenrechtsverletzungen und eine lebensbedrohliche Abschiebung in die Wüste durch die algerischen Behörden erlitten hatten. Und das, obwohl sie teilweise bereits einen Flüchtlingsstatus hatten.

Kurswechsel in Flucht- und Migrationspolitik nötig

Die Studie zeigt, dass ein grundlegender Kurswechsel in der europäischer Flucht- und Migrationspolitik notwendig ist, um tatsächlich zum Schutz von Migrantinnen und Migranten in Nord- und Westafrika beizutragen. Diese müsste sich orientieren an Schadensvermeidung und -verhinderung, Befähigung der Menschen, ihre Rechte einzufordern, Unterstützung der Entwicklung von Selbstschutzkapazitäten und bedarfsgerechter Hilfe.
Konkret heißt das:

  • Die Europäische Union und die EU-Mitgliedstaaten müssen die Finanzierung der libyschen Küstenwache einstellen. Stattdessen sollten sie für proaktive Such-und Rettungsaktionen im zentralen Mittelmeer sorgen. Sie sollten Ausschiffungs- und faire Verteilungsmechanismen sowie besseren Zugang zu Asylverfahren schaffen. Daneben sollten sie die Rechte von Migrant*innen und Flüchtlingen in der migrationspolitischen Zusammenarbeit mit Libyen schützen und sich zu einer globalen Teilung der Verantwortung und zur Förderung regulärer Migrationswege verpflichten.

  • Die derzeitige Abschiebepraxis von Staatsangehörigen aus Subsahara-Ländern von Algerien nach Niger stellt eine eklatante Verletzung des Völkerrechts dar und macht Migrantinnen und Migranten extrem verwundbar. Internationale Organisationen, die Europäische Union und die Regierung von Niger müssen entschlossen gegen diese Praktiken vorgehen und die Auswirkungen der in Niger verfügbaren Rückkehrprogramme auf die Abschiebepraxis aus Algerien kritisch untersuchen.

  • Rückkehrprogramme müssen die Rechte von den Menschen vordringlich behandeln, die vor oder während ihrer Migration intern vertrieben, gefoltert oder Opfer von Menschenhandel geworden sind. Opfer von Menschenhandel und Folter sollten alternativ zur Rückkehr in ihr Herkunftsland Zugang zu einem Asylverfahren oder einem Umsiedlungsmechanismus in ein Drittland bekommen.

  • Humanitäre Akteure (und ihre Geldgeber) sollten die Begünstigten von Programmen ausschließlich auf der Grundlage humanitärer Bedürfnisse definieren und sich nicht von Logiken des Migrationsmanagements beeinflussen lassen. Nur ein kleiner Teil der afrikanischen Migrationsbewegungen zielt auf Europa. Rückkehrer*innen können dann am besten zur Entwicklung beitragen, wenn sie sich freiwillig zu einer Rückkehr entschlossen haben.

  • Gelder der Entwicklungszusammenarbeit sollten nur dann für Rückkehr- und Reintegrationsprogramme verwendet werden, wenn diese auch der Entwicklung dienen. Die entwicklungspolitischen Auswirkungen der Reintegrationshilfe müssen untersucht und mit dem Nutzen und den Auswirkungen der Rücküberweisungen von Migrantinnen und Migranten verglichen werden.

Die Arbeitsgemeinschaft Frieden und Entwicklung (FriEnt) ist ein Zusammenschluss von staatlichen Organisationen, kirchlichen Hilfswerken, zivilgesellschaftlichen Netzwerken und politischen Stiftungen.

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