Die internationale Gemeinschaft muss schnell handeln

Kooperationsveranstaltung von FriEnt, der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung
16. Dezember 2020
Egor Myznik | Unsplash

Um einen dauerhaften, stabilen Frieden zu schaffen, sollten sich Bundesregierung sowie die EU und OSZE in der Bergkarabach-Frage stärker engagieren. In einer Kooperationsveranstaltung teilten die Teilnehmer*innen Befürchtungen und Lösungsansätze rund um den Frieden im Südkaukasus.

Am 9. November unterzeichneten die um die Region Bergkarabach Krieg führenden Länder eine Waffenstillstandsvereinbarung, die der russische Präsident Vladimir Putin vermittelt hatte. Seit dem 10. November gilt sie. Ein Friedensvertrag konnte vorher über 26 lange Jahre lang nicht erzielt werden und steht auch weiterhin aus. Wie sich unter den aktuellen Gegebenheiten die internationale Gemeinschaft hier einbringen und zu einer nachhaltigen Friedenslösung beitragen kann, ist noch völlig unklar. Diese Frage stand im Zentrum einer virtuellen Kooperationsveranstaltung von FriEnt, der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) und der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung (PZKB) am 12. November 2020. Unter dem Titel „Krieg in Bergkarabach - Handlungsoptionen für Deutschland und die EU“ erörterten die Expert*innen, wie sich die deutsche Bundesregierung, die EU und die OSZE nun mit ihren für die Konfliktlösung Bergkarabach beauftragten Formaten stärker engagieren können.

Als Sprecher*innen eingeladen waren Vertreter*innen von drei politischen Stiftungen (FES, HBS und KAS) aus den Regionalbüros im Südkaukasus, Russland und der Türkei. Hinzu kamen ein Sprecher aus dem Iran, eine zivilgesellschaftliche Vertreterin eines regionalen Women Peacebuilder Netzwerks aus Georgien sowie MdB Johann Saathoff, Koordinator für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland, Zentralasien und den Ländern der Östlichen Partnerschaft im Auswärtigen Amt. An dem Austausch nahmen mehr als 52 Vertreter*innen aus Bundestag, Ministerien und einer Vielzahl staatlicher und wissenschaftlicher Institutionen sowie zivilgesellschaftlicher Organisationen und Medien teil.

Der Waffenstillstand zieht neue Gewalt nach sich

Die Lage um Bergkarabach hat sich seit der Nacht vom 10. November 2020 dramatisch verändert, unmittelbar nachdem eine Waffenstillstandsvereinbarung von Putin und den beiden Staatschefs aus Aserbaidschan und Armenien unterzeichnet worden war. Zum ersten Mal seit 44 Tagen schwiegen die Waffen. Gemäß diesem Waffenstillstandsabkommen werden nun die Gebietsgewinne der aserischen Seite auf dem Stand vom 9. November eingefroren. Die seit 1994 von der armenischen Seite besetzten Gebiete sollen schrittweise geräumt und an Aserbaidschan zurückgegeben werden. Den Status des verbleibenden Gebiets Bergkarabach um die Hauptstadt Stepanakert soll ein späteres Friedensabkommen regeln. Die multilateralen Organisationen OSZE und EU waren an diesem Deal augenscheinlich nicht beteiligt und spielten keine aktive Rolle. Die Politik der Östlichen Partnerschaft und das OSZE-Format der Minsk Group mit den drei Co-Chairs Russland-Frankreich-USA haben hier offensichtlich versagt.

Putin hat sich dagegen nach fünf Wochen Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan mit einem kurzfristigen Streich als Friedensmacher in der für Russland wichtigen Einflusszone und gleichzeitig EU-Nachbarschaftsregion dargestellt. Die Umsetzung des Waffenstillstands soll mit rund 2.000 russischen Soldaten als Peacekeeper sichergestellt werden, von denen am gleichen Tag erste Truppenkontingente in der Konfliktregion Bergkarabach eingesetzt wurden. Die Türkei, die Aserbaidschan in diesem Krieg aktiv unterstützt hat, wird gemeinsam mit Russland nun ein Beobachtungszentrum aufbauen und vermutlich versuchen, ihren Einfluss in der Region weiter auszubauen. In Aserbaidschan löste die Bekanntmachung Siegestaumel und Freudenstürme aus. In Armenien dagegen gab es Tumulte, auf den Straßen wurde demonstriert, gewaltbereite Gruppen stürmten das Parlament und die Residenz des Premierministers. Der Parlamentspräsident wurde auf offener Straße krankenhausreif geschlagen. Es ist nicht klar, wie lange sich der ehemalige Hoffnungsträger Premierminister Nikol Pashinian noch im Amt wird halten können und wie sich die demokratischen Fortschritte in Armenien retten lassen.

Noch lange kein nachhaltiger Frieden

Es ist gut, da war man sich natürlich einig, dass die Waffen jetzt schweigen. Die genaue Zahl der Opfer war zum Zeitpunkt des Gesprächs noch nicht eindeutig bekannt, aber es wurde vermutet, dass es sich um mehrere Tausend getöteter Soldaten auf beiden Seiten sowie Hunderte ziviler Opfer handelt. Darüber hinaus wurde zivile Infrastruktur, Häuser, Hospitäler, Schulen, etc. weitreichend zerstört. Unklar ist nun, wie und von wem die Friedensverhandlungen geführt werden, was mit den Armenier*innen aus und in den zurückzugebenden Gebieten passiert, wie die Rückführung der Vertriebenen aus Aserbaidschan erfolgen und wie Sicherheit für sie und die verbleibenden Karabach-Armenier*innen gewährleistet werden kann. Offen ist auch, wie sich die Übernahme der Situation durch Russland auf die gesamte Region auswirken wird (auch auf Georgien und die dortigen Konflikte), wie die aus Idlib durch die Türkei in das Kampfgebiet eingeschleusten Söldner und syrischen Kämpfer weiter agieren oder kontrolliert werden und wie sich Deutschland, die OSZE und EU wieder in den Prozess einbringen und wirklich engagieren werden. Klar dagegen ist, dass noch sehr lange kein nachhaltiger Frieden herrschen wird.

Die Teilnehmer*innen der Veranstaltung befürchteten, dass sich die humanitäre Lage vor allem für die armenisch-stämmige Bevölkerung in Karabach sowie in den zu räumenden Gebieten dramatisch verschärft. Sie sorgten sich auch um einen möglichen Revanchismus mit neuen, dauerhaften Gewalt-Eskalationen, da der Waffenstillstand als Kapitulation verstanden wird.

Alle forderten schnelles Handeln, um die internationalen Formate wieder ins Spiel zu bringen und an Friedensverhandlungen beteiligt zu werden (OSZE und EU) – all dies, um ein erneutes Einfrieren des Konflikts zu verhindern. Und in Hinblick auf die humanitäre Notlage empfahlen die Sprecher*innen unverzügliche und möglichst unkomplizierte Hilfe auch von zivilgesellschaftlicher Seite, um die Not zeitnah zu lindern und eine noch größere Katastrophe zu verhindern.

Die Zivilgesellschaft kann helfen, aber staatliche Zusammenarbeit nicht ersetzen

Für die lokale Zivilgesellschaft in Armenien und Aserbaidschan ist es de facto derzeit sehr schwierig, sich unmittelbar für Frieden einzusetzen, da Friedensakteure auf beiden Seiten öffentlich als Verräter gebrandmarkt und stark unter Druck gesetzt werden. Wichtig wäre hier, sich weiter und stärker zu engagieren und humanitäre Hilfe, Traumaarbeit und psychologische Betreuung anzubieten sowie Unterstützung im Kampf gegen Covid-19 und die einbrechende Winterkälte zu fördern.

Für Mediation sowie gemeinsame Lobby- und Advocacyarbeit kommen die regionalen Netzwerke wie Women Peacebuilder und andere zivilgesellschaftliche Verbünde in den Blick, die gestärkt und als Berater staatlicher Akteure einbezogen und wahrgenommen werden sollten. Vorschläge zu einem neu aufzulegenden EU-Wiederaufbaufonds machten ferner die Runde, auch um wieder Präsenz in der Region sowie Solidarität und Engagement des Westens zu zeigen. Allerdings dürfe so ein Fonds nicht den Eindruck erwecken, dass sich Waffeneinsatz lohnt und die kriegsführenden Parteien für ihre zerstörerische Vorgehensweise nun im Nachhinein auch noch mit Wiederaufbaumaßnahmen belohnt werden.

Als eine weiterführende Frage wurde besprochen, wie sich die Bundesregierung in der Region engagieren könnte. Da das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gemäß der eigenen Strategie „BMZ 2030“ Armenien und Aserbaidschan als ‚Exitländer‘ kennzeichnet, scheint eine weitere Chance für ein fortgesetztes Friedensengagement vertan zu werden. Die auf regionale Kooperation und Friedensförderung ausgerichtete „Kaukasusinitiative“, die über die letzten Jahrzehnte auch mit staatlicher Präsenz und einem vielschichtigen Engagement im Entwicklungs- und Friedensbereich in der Region aktiv war, könnte jetzt einiges leisten. Ob und wie das Auswärtige Amt, das Institut für Auslandbeziehungen (Ifa) den Einsatz von Mitteln der Östlichen Partnerschaft für Friedensförderung in der Region sowie die Förderung von zivilgesellschaftlichen Programmen durch das BMZ diese Arbeit fortsetzen und zu Frieden beitragen können, ist leider noch unklar. Klar ist dagegen, dass zivilgesellschaftliche Förderung parallel zu staatlichem Engagement dringend nötig ist, aber die staatliche bi- und multilaterale Zusammenarbeit nicht ersetzen kann.

Die Arbeitsgemeinschaft Frieden und Entwicklung (FriEnt) ist ein Zusammenschluss von staatlichen Organisationen, kirchlichen Hilfswerken, zivilgesellschaftlichen Netzwerken und politischen Stiftungen.

Kontakt

Arbeitsgemeinschaft Frieden

und Entwicklung (FriEnt) c/ o GIZ

Friedrich-Ebert-Allee 36

53113 Bonn

Tel +49 228 4460-1916

E-Mail: info@frient.de

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