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Dr. Tanja Kasten

Tanja.Kasten@frient.de

Friedensakteure müssen laut und sichtbar werden

Demokratie und Freiheit sind verletzlicher als gedacht. Für eine echte „Zeitenwende“ brauchen wir mehr Mut in der Friedensförderung.
28. März 2022
Protestaktion nahe der Botschaft der Russischen Föderation in Kiew, Ukraine | palinchak, depositphotos

Die wachsende Bedrohung für die europäische Friedensordnung durch autokratische Regime haben viele politische Akteure in Deutschland und Europa lange nicht ernst genug genommen. Seit dem 24. Februar geht das nicht mehr. Seitdem dreht sich die Diskussion um Sicherheit, Verteidigung und Rüstungsausgaben. Bleibt da noch Raum für zivile Friedensarbeit und friedenspolitische Perspektiven? Eindrücke aus einer FriEnt-Diskussionsveranstaltung

„Wenn ein anderes Spiel gespielt wird, brauchen wir auch andere Instrumente.“ So lautet die Antwort von Dr. Jörn Grävingholt (Deutsches Institut für Entwicklungspolitik – DIE) auf die Frage, ob wir es tatsächlich mit einer Zeitenwende in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik zu tun haben. Von einer solchen Zeitenwende war viel die Rede seit dem Beginn des Russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und der Regierungserklärung wenige Tage später bei einer Sondersitzung des deutschen Bundestages – in den Medien, in den politischen Debatten und auch in den Diskussionen zu den Konsequenzen dieses Krieges in der Friedens- und Konfliktforschung.

In einer FriEnt-Veranstaltung am 15. März 2022 stand dazu die Frage im Mittelpunkt, was diese Zäsur für die künftige deutsche Friedenspolitik bedeuten kann. Welches Gewicht können etablierte Prinzipien und Gewissheiten für das bisherige Politikhandeln unter dem Dach der Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ in Zukunft noch entfalten? Wie lassen sich Wissen und Erfahrungen aus der praktischen Friedensarbeit in den politischen Diskurs einbringen, und müssen bestehende Konzepte für das Zusammenspiel von Sicherheit, Entwicklung und Frieden jetzt überdacht oder verändert werden?

Mit den angekündigten substanziellen Erhöhungen des Verteidigungsetats und den Waffenlieferungen an die Ukraine hat die Bundesregierung einen Paradigmenwechsel vollzogen und steht damit vor fundamentalen Herausforderungen für die künftige Politikgestaltung. Die Panellist*innen gaben dazu erste Einschätzungen und bezogen Positionen – auch zu den Fragen und Kommentaren der etwa 70 Teilnehmer*innen aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft.

Militärische Begründungsmuster suggerieren Klarheit, wo es keine gibt

Anja Petz (Kurve Wustrow, Konsortium Ziviler Friedensdienst) blickt kritisch auf die aktuelle Debatte über den Krieg gegen die Ukraine: „Ist die Welt wirklich eine andere oder wurden wichtige Entwicklungen übersehen?“ Sie unterstreicht, dass Hinweise und Warnungen der Partnerorganisationen in der Region lange ungehört geblieben seien. Ihr Plädoyer für die künftige Politik ist deshalb, es müsse mehr und bessere Analysen geben – auch und vor allem mit lokaler Expertise. In Krisen- und Konfliktkontexten könnten Peacebuilding-Akteur*innen zwar keine einfachen Antworten liefern, aber die richtigen Fragen stellen. Militärische Begründungsmuster suggerierten oft eine Klarheit, die so nicht existiere. „Menschliche Sicherheit gehört immer an oberste Stelle“, so Petz. Friedensförderung kann und sollte die Anziehungskraft der Demokratie nutzen und zivile Potenziale stärken, um Transformationsprozesse zu unterstützen.

Auch Adis Ahmetovic (MdB der SPD, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss) unterstreicht diese Perspektive: „Zivile Krisenprävention, Stabilisierung und Konfliktnachsorge bleiben im Fokus unserer Friedenspolitik, aber die aktuelle Krise ist allein mit Diplomatie nicht lösbar." Die neue Sicherheitspolitik sei eine Ergänzung und kein Bruch mit der bisherigen Außenpolitik. Das Konzept Wandel durch Handel sei aber gescheitert. Jetzt gälte es, die Abhängigkeiten von Autokratien zu reduzieren – besonders in der Energiepolitik. Er unterstreicht das Plädoyer von Anja Petz für eine konsequente Unterstützung der Zivilgesellschaft in autokratischen Staaten und wirbt für einen gemeinsamen Kurs mit europäischen Partnern.

Die Akteursanalysen müssen besser werden

Ein kohärentes Politikhandeln in Deutschland und Europa beschäftigt auch Sara Nanni (MdB für Bündnis 90/die Grünen, Mitglied im Verteidigungsausschuss): „In Europa sprechen wir Europäisch und in Deutschland Deutsch – das funktioniert nicht mehr“, konstatiert sie. Auch, und aktuell besonders, in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Sie sieht Deutschland in der Pflicht, international mehr Verantwortung zu übernehmen und eng mit Bündnispartnern zusammenzuarbeiten. Gleichzeitig sei aber auch die Zivilgesellschaft aufgerufen, laut und sichtbar zu werden. Entwicklungszusammenarbeit, Diplomatie und Sicherheitspolitik müssten immer zusammen gedacht werden, um nicht erst auf Krisen zu reagieren, wenn sie schon eskalieren. Im Umgang mit Russland sei das nicht gelungen, weil die Akteursanalysen falsch lagen: „Auch mit dem Militärpaket erreichen wir keine Sicherheit, wenn die Analyse nicht besser wird.“ Die Bundeswehr besser auszustatten sei sinnvoll, genauso aber auch substanzielle Investitionen in die Entwicklungspolitik.

Dr. Jörn Grävingholt attestiert den politischen Akteuren in Deutschland und Europa, dass sie im Umgang mit Russland und anderen autokratischen Staaten offensichtlich ihre eigenen Strategiepapiere vergessen hätten: „Ich sehe einen Paradigmenwechsel weniger in der politischen Strategie als in der Weltwahrnehmung. Die erschreckende Erkenntnis ist, dass Europa in seinen fundamentalen Werten verwundbarer ist als gedacht.“

Autokratischen Entwicklungen frühzeitig begegnen

Angesichts der Bedrohung von Freiheit und Demokratie und dem Bruch mit der europäischen Friedens- und Sicherheitsordnung sei jetzt deutlich sichtbar, dass Autokratien die größte Gefahr für Europa darstellten. Das künftige Politikhandeln müsse konsequent so ausgerichtet werden, dass autokratischen Entwicklungen möglichst frühzeitig begegnet wird und demokratische Akteur*innen aktiv unterstützt werden. Dafür brauche es auch mehr friedenspolitische Kapazität und Kompetenz mit einer aktiven Positionierung im politischen Diskurs.

In diese Richtung gingen auch die Einschätzungen aus der Runde über die möglichen Konsequenzen der Zeitenwende für die deutsche Friedenspolitik: Der Dreiklang aus Sicherheit, Entwicklung und Frieden hat weiter Gültigkeit – genauso wie das Primat der Politik und die handlungsleitenden Prinzipien für Krisenprävention und zivile Konfliktbearbeitung. Die Zäsur durch den Angriffskrieg gegen die Ukraine bedeutet aber eine Neubewertung der friedens- und sicherheitspolitischen Herausforderungen in Europa. Sie verlangt auch nach einem aktiven Politikhandeln der Bundesregierung. Militärische und sicherheitspolitische Akteure haben sich in dieser dynamischen Entwicklung schnell positioniert. Gleichzeitig sind die Zivilgesellschaft und die „Peacebuilding Community“ für politische Entscheidungsträger*innen – zumindest für den Richtungsdiskurs in Kabinett und Parlament – weniger sichtbar und greifbar. Besonders für die Unterstützung demokratischer Akteure und ziviler Potenziale in autokratischen Staaten ist aber in der aktuellen Situation friedenspolitisches Erfahrungswissen mit erprobten Ansätzen und Instrumenten wichtiger denn je.

Damit die Herausforderungen für Sicherheit, Entwicklung und Frieden weiterhin zusammen gedacht und entsprechend adressiert werden, muss dieser Diskurs aktiv geführt und verstärkt werden. Als gemeinsame Plattform von Staat und Zivilgesellschaft wird FriEnt diesen Prozess weiterhin begleiten und bietet Raum für Austausch und Dialog, um friedenspolitische Positionen und Perspektiven zu entwickeln.

Die Arbeitsgemeinschaft Frieden und Entwicklung (FriEnt) ist ein Zusammenschluss von staatlichen Organisationen, kirchlichen Hilfswerken, zivilgesellschaftlichen Netzwerken und politischen Stiftungen.

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