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Marius Müller-Hennig

Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bosnien und Herzegowina

Bosnien und den Westlichen Balkan priorisieren

Die Region gehört zurück in den Fokus der Friedensförderung!
22. Mai 2018
2427999 I Pixabay

„We cannot only address conflicts once they are on the front pages of the newspapers. Furthermore, we must not lose our focus too soon, let alone accept frozen conflicts. We need to be resolute in our search for political solutions“, so der neue deutsche Außenminister Heiko Maas. Das ist ein mittlerweile klassisches Bekenntnis zu Prävention, verbunden mit der etwas jüngeren Einsicht, dass man sich nicht zu schnell von vermeintlich befriedeten Konfliktschauplätzen abwenden sollte.

Impuls 05/2018 von Marius Müller-Hennig, Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bosnien und Herzegowina

Mit dieser Perspektive wäre es dann aber nicht das Beispiel Mali, welches der Minister später in seiner Rede herausgriff, sondern das Beispiel des Engagements auf dem Westlichen Balkan, welches wir in den Blick nehmen sollten. Und tatsächlich wäre hier eine gründliche, selbstkritische Reflektion des eigenen Engagements, der Erfolge und Misserfolge dringend angeraten. Leider findet sich diese Region aber scheinbar kaum noch auf der Liste prioritärer deutscher und europäischer friedenspolitischer Herausforderungen wieder: weder konzeptionell noch operativ.

Ganz im Gegenteil, der Balkan ist in verschiedenste andere Diskussionen „weitergereicht“ worden. So ist bspw. die Fokusverschiebung von Friedensförderung auf die EU-Integration der Staaten des Westlichen Balkans ein durchaus zweischneidiges Schwert. Das Beispiel Bosnien und Herzegowina illustriert dies besonders deutlich: Fragt man hier, warum die internationale Gemeinschaft trotz massiver Obstruktion im politischen Prozess nicht von den weitreichenden Kompetenzen des Hohen Repräsentanten der Internationalen Gemeinschaft Gebrauch macht - dessen Mandat umfasst u.a. die Absetzung von Amtsträger/innen, die gegen Recht und Dayton-Vertrag verstoßen sowie die Verabschiedung von Gesetzen, wenn die gesetzgebenden Organe daran scheitern - , so kriegt man u.a. zu hören, dass ein solches Einschreiten ja nun wirklich nicht mit dem Prozess der EU-Integration Bosnien und Herzegowinas zusammenpassen würde. Ein Argument, welches durch die friedenspolitische Präferenz für „local ownership“ Schützenhilfe erhält. Stattdessen versuchen die internationalen Akteure derzeit eher als „honest broker“ die Akteure beim Finden von politischen Kompromissen zu unterstützen oder sie dazu zu überreden. Da deren politisches Überleben – gerade in einem Wahljahr wie 2018 – aber oftmals vor allem von ihrer zur Schau gestellten Kompromisslosigkeit abhängt, läuft dieser Ansatz in letzter Zeit nur allzu oft ins Leere und wirkt damit alles andere als „resolut“.

Zudem ist die Perspektive der Friedensförderung in der Debatte um die Entwicklung des Westlichen Balkans weitgehend marginalisiert. Die Aufmerksamkeit nahm mit jedem neuen Konflikt im Nahen Osten und in Nordafrika weiter ab. Stattdessen kommen neuerdings die Alarmrufe zum Balkan einerseits von denjenigen, die sich um die Demokratisierung der Gesellschaften sorgen. Andererseits lenken aber auch diejenigen westlichen Akteure zunehmend mehr Aufmerksamkeit auf die Region, die einer realpolitischen und/oder geopolitischen Perspektive anhängen.

Eine Inflation von alarmierenden Berichten und Kolumnen

Es ist in der Tat bemerkenswert, wie viele Berichte und Kommentare mit unzweideutigen Titeln die Aufmerksamkeit zurück auf den Balkan lenken wollen. Eine Auswahl aus dem Blickwinkel Bosnien und Herzegowinas:

Man muss in den meisten Fällen noch nicht mal zwischen den Zeilen lesen, um eine gemeinsame Sorge heraus zu lesen: Illiberale Staaten, allen voran Russland, könnten die unkonsolidierten und defekten demokratischen Regime der Region als Einfallstor zur Ausweitung ihres geopolitischen Einflusses nutzen. Eine Gefahr also für die Demokratisierung der Staaten der Region und ein Sicherheitsrisiko für die EU und die USA, die sich zu schnell von der Region abgewendet haben.

Man könnte die dort formulierten Sorgen und Argumente teilweise als alarmistisch abtun, doch würde man es sich damit zu einfach machen. Auch sind einige der Berichte sehr abgewogen formuliert und lesenswert, wie bspw. der zuerst genannte Bericht des East West Institute. Und tatsächlich verfolgen dritte Akteure Ihre Interessen in der Region, die z.T. in einem potentiellen Zielkonflikt zu den Zielen stehen, welche die EU und die USA seit über 20 Jahren hier verfolgen. Und es ist wichtig, sich die geopolitischen Kalküle anderer Akteure bewusst zu machen und nicht vor ihnen die Augen zu verschließen, wie es Wulf Lapins im IPG-Journal Artikel „Moralische Großmächtigkeit“ anmahnt. Denn dies scheint tatsächlich die Logik zu sein, die das Denken einer ganzen Reihe von internationalen Akteuren in der Region weiterhin prägt. Man muss diese Denkweise kennen und verstehen, aber die EU und Deutschland dürfen sich im Gegenzug nicht einer eigenen geopolitischen Logik unterwerfen. Im Gegenteil: Wer sich die geschichtliche Bilanz von beinharter Geopolitik nüchtern anschaut, dem muss es kalt den Rücken herunterlaufen; gerade in Bosnien und Herzegowina. Vielmehr braucht es ein neues friedenspolitisches Engagement auf dem Balkan und in Bosnien und Herzegowina.

Bosnien und Herzegowina als Lackmustest für deutsche Friedensförderung

Bosnien und Herzegowina sollte aus einer ganzen Reihe von Gründen wieder ins Zentrum friedenspolitischer Aufmerksamkeit rücken. Ganz konkret stehen im Oktober Wahlen an, die aber unter einem Damoklesschwert stehen: Die vom Verfassungsgericht geforderte Wahlrechtsreform hat nicht stattgefunden. Damit ist unklar, ob nach den Wahlen Anfang Oktober überhaupt eine Regierung in der Föderation und auf Gesamtstaatsebene gebildet werden kann. Und die Unsicherheiten rund um die Wahlen sind nicht der einzige Grund zur Besorgnis: Auch andere Verfassungsgerichtsentscheidungen und eine essentielle Entscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (Fall Sejdic-Finci) wurden bisher nicht umgesetzt oder schlicht und ergreifend ignoriert. Zudem setzen die regierenden Parteien fast ausnahmslos auf ethno-nationale Mobilisierung und zugespitzte Rhetorik, um die Stimmen aus der jeweils eigenen Volksgruppe zu sichern. Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen werden hier nicht nur billigend in Kauf genommen, sie werden aktiv geschürt. Last but not least hat die jüngste EU-Kommunikation zum gesamten Westlichen Balkan sogar festgestellt: “Today, the countries show clear elements of state capture, including links with organised crime and corruption at all levels of government and administration, as well as a strong entanglement of public and private  interests.“ Dies ist ungewöhnlich explizit für einen EU-Bericht und ein besonders deutliches Warnsignal. Es ist zudem aber auch ein ermutigendes Zeichen dafür, dass zivilgesellschaftliche Mahnungen letztendlich doch nicht komplett ungehört verhallen. So hatte bspw. die Heinrich-Böll-Stiftung das drastische Motiv des State Captures auf dem westlichen Balkan in 2017 sehr eindrücklich beschworen.

Angesichts all dieser Risiken und besorgniserregenden Entwicklungen ist offensichtlich, dass Prävention und Friedensförderung nun dringend geboten sind. So stellte auch der Hohe Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft am 8. Mai bei seinem Bericht an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen fest:
“To begin with, in the current environment, we need to maintain all of the tools at our disposal to prevent any further deterioration of the situation. I am thinking here about the civilian and military executive mandates. I also believe that we should be ready to be more prescriptive about the reforms that are needed to take the country forward and more ready to respond against words and actions by leading political figures when they risk further destabilizing the political and security environment.”

Genau. Wann, wenn nicht in einer solchen Situation wäre eine stärkere politische Herangehensweise angemessen? In welchem anderen Kontext außer in Bosnien und Herzegowina, in der die Rolle des Hohen Repräsentanten durch den Dayton Friedensvertrag und entsprechende UN-Resolutionen abgesichert ist, hätte ein direktes politisches Eingreifen mehr Legitimität? Selbst wenn sich die Internationale Gemeinschaft letztendlich gegen eine direkte Intervention in den politischen Prozess entscheiden sollte: Sie muss diese Optionen ernsthaft prüfen und vorbereiten, und darf sie nicht von vorneherein als unrealistisch abtun. Sonst macht es doch auch keinen Sinn sie aufrecht zu erhalten.

Die vorangehenden Fragen zeigen bereits: Aus Perspektive der Friedensförderung geht es in diesem Fall auch um mehr als nur um den konkreten Fall Bosnien und Herzegowina. In kaum einer Konfliktregion haben sich Deutschland und Europa stärker engagiert als auf dem Balkan. Fast nirgends auf der Welt haben sie ähnliche umfangreiche Einflussmöglichkeiten und legitime Interessen. Und schließlich tragen sie kaum anderswo eine größere moralische Verantwortung für die nachhaltige Sicherung des Friedens als hier, wo man in den 1990er Jahren dramatisch versagt hat und im Anschluss mit der Unterschrift von Helmut Kohl unter dem Friedensvertrag von Dayton schwarz-auf-weiß Verantwortung für den Frieden übernommen hat. Wenn es hier zu einem Rückfall in Gewalt und Konflikt kommt oder wenn wir hier akzeptieren, dass sich nach massiven Friedensmissionen und vielen Milliarden Euro an Wiederaufbauhilfe „Captured States“ etablieren und verfestigen, woher nehmen wir dann den Optimismus, dass wir in Mali, in Afghanistan oder im Irak Frieden erfolgreich fördern können?

Aus Perspektive der Friedensförderung gilt es also dringend dem Engagement auf dem Westlichen Balkan in zweierlei Hinsicht neue Aufmerksamkeit zu widmen:

(I) Die geopolitische Aufmerksamkeit für den westlichen Balkan ist Chance und Risiko zugleich: Chance, weil so zusätzlich politisches Kapital mobilisiert werden könnte, um ein wichtiges und langwieriges Engagement schließlich auch zu einem guten Ende zu bringen. Ein Risiko, weil ein rein geopolitisch motiviertes Engagement noch stärker auf die Stabilokraten in der Region setzen könnte, was ein Schlag ins Gesicht der friedensfördernden Logik wäre. Noch ist es nicht zu spät, den westlichen Balkan zu einer friedenspolitischen Erfolgsgeschichte zu machen.

(II) Aus den Erfahrungen des Engagements auf dem westlichen Balkan sollten endlich Lehren gezogen werden. Hierfür bedarf es einer systematischen und ehrlichen Evaluation des Engagements der letzten 20 Jahre und zwar politisch ebenso wie operativ. Denn wenn der genannte EU-Bericht klare Elemente des „State Captures“ identifiziert, so müssen wir uns schon die Frage stellen, wie es angesichts der immer auch stark friedenspolitisch begründeten, massiven Rolle der internationalen Gemeinschaft, der Europäischen Union und gerade auch Deutschlands dazu kommen konnte.





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