Kontakt

Dr. Magdalena Kirchner

m.kirchner@fes-afghanistan.org

Country Director, FES Afghanistan

Der Weg zum Frieden bleibt ein steiniger Pfad

Afghanistan ist nach dem Ende des Nato-Engagements fragiler denn je
29. Juni 2021
Afghanistan | Nuristan | Aohaib-ghyasi-AOnPF7Kf19A-unsplash

Die Dominanz militärischer Instrumente verstellte lange den Blick auf sozioökonomische und politische Konfliktlinien in der afghanischen Gesellschaft. Armut und Ungleichheit haben in der letzten Dekade wieder zugenommen. Lokale Konfliktursachen und damit auch Potenziale der Friedenssicherung wurden von den großen, internationalen Fragestellungen überlagert. Deutschland und Europa sollten die Stärkung der VN im regionalen, nationalen und lokalen Friedensprozess unterstützen und Geduld mitbringen.

Am 28. Februar 2020 schlossen die USA mit den Taliban ein Abkommen, um „Frieden nach Afghanistan zu bringen“, so der Name. Vorangegangen war eine mehrtägige „Gewaltreduzierung“, ein inoffizieller Waffenstillstand zwischen den Aufständischen und den Sicherheitskräften der Islamischen Republik Afghanistan. Diese waren von den Taliban seit dem Ende ihrer Herrschaft zu Beginn der internationalen Intervention gewaltsam herausgefordert worden. Doch die Hoffnung auf Frieden ist seitdem für viele Afghan_innen in weite Ferne gerückt – den Vereinten Nationen zufolge sind im vergangenen Jahr tausende Zivilist_innen bei Kampfhandlungen und Anschlägen getötet oder verwundet, hunderttausende sind innerhalb des Landes vertrieben worden.

Afghanistan ist heute, zwanzig Jahre nach dem Beginn des internationalen Engagements, dem Global Peace Index zufolge das am wenigsten friedliche Land der Welt, die Wirtschaft liegt am Boden, in keinem Teil des Landes sind Unsicherheit und Fragilität nicht zu spüren. Weite Teile der ländlichen Gebiete sind zwischen Regierung und Rebellen umkämpft, verbunden durch Straßen, die abwechselnd von Taliban, Armee, Milizen oder Kriminellen kontrolliert werden. In den Städten, die weiterhin von der Regierung kontrolliert werden, drohen zwar keine Luftangriffe oder Hinterhalte, doch die Zahl der Raubüberfälle und Anschläge hat gerade dort in den letzten Monaten dramatisch zugenommen.

Nachhaltiger Frieden und Stabilität sind nicht erreicht worden

Wie ist zu erklären, dass zwar signifikante Verbesserungen bei der Gesundheitsversorgung oder der Bildung zu beobachten sind, aber gleichzeitig Aktivitäten zur Sicherung des Friedens und der Stabilisierung ihre angestrebte Wirkung bisher nicht entfalten konnten? Dazu gehören die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) 2002, die Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF), seit 2003 unter NATO-Kommando, und die Ausbildungsmission Resolute Support bis Mai 2021.
Zunächst waren die materiellen und politischen Ressourcen der Vereinten Nationen in Afghanistan viel zu niedrig angesetzt worden, mit der Intention, nur einen „leichten Fußabdruck zu hinterlassen“. Dies geschah auch aus Sorge davor, in Afghanistan als Besatzer wahrgenommen zu werden. Mit nur 300 internationalen Mitarbeiter_innen sollte die VN helfen, die 2001 völlig zerstörten staatlichen Strukturen wieder leistungsfähig zu machen – vom grassierenden Mangel an qualifiziertem afghanischem Personal nach Jahrzehnten des Krieges ganz abgesehen. Zu ihren Aufgaben gehören bis heute auch die Koordination humanitärer Hilfe, Unterstützung bei der Organisation von Wahlen und die politische wie strategische Beratung der Afghan_innen im Friedensprozess. Die UNAMA wurde in der Koordinierung internationaler Hilfe von einer Vielzahl paralleler und unkoordinierter Initiativen von Einzelstaaten, aber auch von supranationalen Organisationen wie der EU und NATO, begrenzt. Im Bereich der Versöhnungsarbeit darf sie bis heute nur auf Initiative der Kabuler Regierung aktiv werden, die ebenso wie die USA lange Zeit kaum Interesse an einer Aussöhnung mit den Taliban hatte.

Viele überschätzten die Integrationskraft der neuen Republik

Gerade in der ersten Dekade des Einsatzes gab es Rückschläge und Fehlentwicklungen statt echter Fortschritte in den Bemühungen um einen inklusiven und nachhaltigen Frieden. Wichtige Konfliktparteien waren in den Bonner Prozess nicht eingebunden – für sie manifestierte er keinen Frieden, sondern die Herrschaft ihrer Gegner im afghanischen Bürgerkrieg der 1990er Jahre. Viele überschätzten die Integrationskraft der neuen Republik, die durch die geographisch begrenzten Stabilisierungserfolge noch weiter beschränkt wurde. Während andere Akteure – allen voran die US-Regierung – ihre Legitimität mit der Fortsetzung des „Krieges gegen den Terrorismus“ untergruben. In den ersten Jahren nach 2001 wandten sich noch viele Afghan_innen auch auf lokaler Ebene an die UNAMA in ihrer Funktion als Mediatorin und Ersatz für formale Gerichte. Ihrer Rolle als Mittlerin zwischen allen gesellschaftlichen Gruppen entsprechend wollte die UNAMA auch Kontakt zu Aufständischen aufnehmen, stieß hierbei jedoch mehrfach auf Widerstand, auch weil es keinen formalen nationaler Versöhnungsprozess gab, in den solche Bemühungen überführt werden könnten. Erst seit September 2020 führen Regierung und Taliban direkte Gespräche in Doha, die allerdings immer wieder ins Stocken geraten und bisher keine stabilisierende Wirkung entfalten konnten.

Immer wieder verstellte die Dominanz militärischer Instrumente – sei es in der unmittelbaren Stabilisierung, sei es in der Ausbildung von Streitkräften, den Blick auf sozioökonomische und politische Konfliktlinien in der afghanischen Gesellschaft. Armut und Ungleichheit haben in der letzten Dekade wieder zugenommen. Lokale Konfliktursachen und damit auch Potenziale der Friedenssicherung wurden zu oft von den großen, internationalen Fragestellungen überlagert. Dabei brachte doch weniger die ideologische Strahlkraft der Taliban, sondern vielmehr die schleppende politische und wirtschaftliche Stabilisierung des Landes viele Afghan_innen gegen die Regierung auf. Besonderes Misstrauen erweckten die weit verbreitete Straflosigkeit und die Korruption in einer kritischen Phase der Konsolidierung.

Die Kriegsfürsten der 1990er Jahre kamen zurück an die politische Macht

Programme zur Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration ehemaliger Konfliktakteure wurden dadurch konterkariert, dass die USA zeitgleich lokale Milizen als Bodentruppen im Anti-Terrorkampf rekrutierten und bewaffneten. Noch im Jahre 2003 kamen in Afghanistan 5.380 Einwohner_innen auf einen ISAF-Peacekeeper, ungleich mehr als in vergleichbaren Missionen im Kosovo (48) und in Ost-Timor (86).Nach dem Ende des NATO-Einsatzes dürfte die Abhängigkeit von privaten militärischen Akteuren noch weiter steigen und nach den jüngsten Geländegewinnen der Taliban treten an vielen Orten paramilitärische Bürgerwehren in Erscheinung. Zu Sorgen um die Kontrolle dieser Gruppierungen kommen auch Erinnerungen an den damaligen Verzicht auf eine Aufarbeitung des Bürgerkrieges und der von verschiedenen Konfliktparteien begangenen Verbrechen. Nach dem Motto „Stabilität vor Gerechtigkeit“ gelangten die Kriegsfürsten der 1990er Jahre an die politische Macht zurück, geduldet und hofiert von der internationalen Gemeinschaft. Forderungen nach einem internationalen Tribunal blieben ungehört und immer wieder machte sich die internationale Gemeinschaft in den Augen vieler Afghan_innen mit Korruption und Straflosigkeit gemein – auch mit Blick auf das Fehlverhalten von eigenen Soldat_innen. Dies schwächte nicht nur liberale und reformorientierte Kräfte, sondern verhinderte auch nachhaltige wirtschaftliche Investitionen. Afghanistan droht trotz seiner enormen Bodenschätze ohne internationale Hilfen wirtschaftlich zu kollabieren.

Ohne einen Friedensschluss hat das UNAMA Mandat keine Erfolgsaussichten

Die US- und NATO-Truppen ziehen ab, die Zukunft des internationalen Engagements ist ungewiss und damit verbunden wandert die afghanische Ober- und Mittelschicht ab. Das alles erhöht das Risiko, die Bemühungen um Frieden und Stabilisierung in Afghanistan dramatisch zurückzuwerfen. Gleichzeitig weiten sich die Kampfhandlungen aus und die Corona-Pandemie hat die Abhängigkeit der Zivilbevölkerung von humanitärer Hilfe weiter erhöht. Wie kann es nun also weitergehen? Ohne einen Friedensschluss wird auch eine Fortsetzung des UNAMA Mandats keine Erfolgsaussichten haben, auch wenn die Ausweitung ihrer politischen Spielräume durch den Rückzug der USA ein positives Zeichen ist. Diese sollte sich auch in einer entsprechenden formalen Anpassung des Mandats im kommenden Herbst widerspiegeln, indem sie der VN-Mission mehr Unabhängigkeit verschafft. Gleichzeitig muss weiter in lokale Dialog- und Aussöhnungsinitiativen investiert werden, um dem fragilen Prozess in Doha einen stabilisierenden Resonanzboden zu geben. Weil wahrscheinlich kurz- und mittelfristig die Binnenvertreibung und Fluchtbewegung in die Nachbarstaaten zunimmt, ist die Unterstützung und konstruktive Einbindung regionaler Partner von enormer Bedeutung, um Zugänge für humanitäre Hilfe und Kommunikationskanäle weiter offen zu halten. Deutschland und Europa können und sollten die Stärkung der VN im regionalen, nationalen und lokalen Friedensprozess unterstützen und Geduld mitbringen – der Weg zum Frieden in Afghanistan bleibt ein steiniger Pfad.

Die Arbeitsgemeinschaft Frieden und Entwicklung (FriEnt) ist ein Zusammenschluss von staatlichen Organisationen, kirchlichen Hilfswerken, zivilgesellschaftlichen Netzwerken und politischen Stiftungen.

Kontakt

Arbeitsgemeinschaft Frieden

und Entwicklung (FriEnt) c/ o GIZ

Friedrich-Ebert-Allee 36

53113 Bonn

Tel +49 228 4460-1916

E-Mail: info@frient.de

Cookies und der Schutz Ihrer Daten
FriEnt verwendet Cookies, um die Funktionalität der Website zu verbessern, um Ihnen ein besseres Website-Erlebnis zu bieten und um Funktionen für soziale Medien bereitzustellen. Durch die Nutzung dieser Website erklären Sie sich mit der Verwendung von Cookies einverstanden.

Ausführliche Informationen über die Verwendung von Cookies auf dieser Website finden Sie in unserer Datenschutzerklärung. Sie können Ihre Cookie-Einstellungen unten anpassen.